Radzeit 6/2000

4 500 Halter, 20 000 Reitpferde und 5 000 Kilometer Reitwege sind im Land Brandenburg laut Agrarministerium registriert bzw. ausgewiesen. Der zahlenmäßig schwachen, aber einflussreichen Reiterlobby ist die Länge der Wege noch zu kurz und fordert die generelle Öffnung aller Waldwege. Im Rahmen einer Volksinitiative sammelte nun die Uckermärkische Sektion der Freizeitreiter- und Fahrvereinigung Deutschlands (VFD) 25 000 Unterschriften und übergab sie dem Landtag. Dem Fahrradtourismus – der zahlenmäßig stärksten Nutzergruppe- wird eine geplante Änderung des Waldgesetzes weiteren Schaden zufügen.
Allein in der Region Berlin-Brandenburg liegt der Fahrradbesitz bei etwa 4 000 000, bundesweit bei 74 000 000 Stück (Statistische; Bundesamt). Touristische Radwege in Brandenburg sollen im Vergleich zu den bereit vorhandenen Reitwegen dagegen auf nur 1 600 Kilometer ausgebaut werden. Aus Sicht des ADFC ist die Zerstörung der meist sandigen Wege Brandenburgs schon jetzt eine Katastrophe: „Die von Reitern genutzten Wege sind für Radfahrer nicht mehr nutzbar“, sagt Steffen Zschaber vom ADFC in Potsdam. Praktisch sind bereits heute alle Wald- und Feldwege im Umkreis von Reiterhöfen zeritten – legal und illegal.

Reiter: Kleine ein flussreiche Elite?

Die wirtschaftliche Bedeutung des Pferdesports ist auch in Brandenburg im Vergleich zum Fahrradtourismus gering. Laut ADFC-Radreiseanalyse 2000 wird Rad fahren von 42 Prozent der Deutschen als eine von mehreren Urlaubsaktivitäten ausgeübt. Hotellerie und Gastronomie profitieren überdurchschnittlich von radelnden Gästen. Befragungen ergaben, dass Fahrradtouristen rund 20 Prozent mehr pro Tag ausgeben als durchschnittlich Urlauber. 100 Millionen, Ausflüge per Rad und 1.9 Millionen mehrtägige Fahrradreisen finden pro Jahr statt- Tendenz stark steigend. Im Vergleich dazu sind alle Golfer, Kreuzfahrer, Inlineskatar, Wassersportler und natürlich Reiter zusammen genommen eine Minderheit.

Innerhalb von vier Monaten muss nun der Landtagspräsident Herbert Knoblich die gesammelten Unterschriften beim Landeswahlleiter auf deren Stimmberechtigung prüfen lassen und eine Entscheidung über eine mögliche Volksabstimmung treffen. Ob es die angestrebte Änderung des Waldgesetzes zugunsten des Reitsports geben wird, ist mehr als fraglich. Nicht nur der ADFC hat ernstzunehmende Einwände. Wenn es aber tatsächlich zu einer Abstimmung kommen sollte, ist die touristische Hauptzielgruppe Brandenburgs in jedem Fall von der Teilnahme
ausgeschlossen – Berliner sind nicht wahlberechtigt.
Benno Koch

Antwort von der VFD

Niemand bezweifelt, dass Radfahren Volkssport Nr. 1 ist und an erster Stelle aller Tourismusinteressen steht. Daran will die Volksinitiative nichts ändern. An hinterer Stelle in den Tourismuskonzepten steht aber eben auch das Reiten, das ja bekanntermassen
pro 3-4 Pferde für einen Arbeitsplatz sorgt. Momentan hat dieser kleine aber wachsende Tourismusbereich leider so gut wie keine vermarktbare Infrastruktur = bereitbare Wege. Euer Titel „Reiter kontra Tourismus“ ist deshalb nicht nur unfair, sondern auch schlicht
falsch. Reiter haben nichts gegen Radwege und/oder Radfahrer. Die allermeisten Reiter (vor allem Jugendliche = 50%) sind selbst auch Radfahrer.
Gewaltiger Unterschied bei der Ausweisung von Rad- bzw. Reitwegen: Radfahrer dürfen beliebig von den Radwegen abweichen und sich selbst die schönste, kürzeste oder geeigneteste Strecke aussuchen. Reiter NICHT – wir sind auf die wenigen und oft für
Pferdebeine unbrauchbaren (weil befestigt oder zu tief) Wege festgelegt und DÜRFEN NICHT davon abweichen.
Genau weil es im ländlichen Raum nur sehr wenige Reiter&Pferde gibt, ist es volkswirtschaftlicher Unsinn, mit enormem Aufwand an Zeit, Steuergeldern und Personalkosten in Kreisverwaltungen und Forstämtern „Reitwegenetze“ auszuweisen. Statt dessen schlägt die Volksinitiative eine Freigabe aller Wege, die nicht ausdrücklich gesperrt werden (siehe oben), für das Reiten vor. Dort, wo die Wege im Wald sowieso wenig frequentiert sind (von Radlern, Wanderern und Reitern), besteht fast kein Entflechtungsbedarf: alle unmotorisierten Erholungssuchenden können friedlich miteinander leben, wie der gemeinsame Pferd-Fahrrad-Ausflug in der Uckermark am 21.10.00 bewiesen hat. Die grössten Schäden an den Wegen richten nicht Pferdehufe, sondern Forstfahrzeuge an.
Übrigens: eine „Volksabstimmung“ steht nicht zur Debatte. Ich empfehle, das Volksabstimmungsgesetz nochmal zu lesen….. Und:
auch die vielen Berliner Reiter und Reittouristen waren von der Volksinitiative ausgeschlossen.
Ich freue mich auf die vereinbarte freundliche & sachliche Fortsetzung der gemeinsamen Lösungsfindung !
Herzliche Grüsse,
Hilke Patzwall / VFD Uckermark

und noch eine Antwort

Hi,

wir empfehlen den wetternden Vertretern der radfahrenden Zunft nachdrücklich die
Teilnahme am alljährlichen Ride & Tie von Hitzacker, eine bei Läufern, Radfahrern und Reitern beliebte Veranstaltung, die eindeutig belegt, daß Waldwege sowohl von Läufern, Reitern und Radfahrern gleichzeitig, in hoher Dichte und, zu allem Überfluß auch noch in hohem Tempo genutzt werden kann.

Die Regeln: Drei Personen, ein Fahrrad und ein Pferd bilden ein Team, das Wechseln der Fortbewegungsart unterwegs ist erlaubt. Die Zeiten bis zur Zielankunft aller Teilnehmer werden addiert. Das Team mit der niedrigsten Gesamtzeit gewinnt.

Letzjährig waren 23 Teams (also insgesamt 49 Personen, 23 Fahrräder und 23 Pferde) nach einem Massenstart auf 26km Strecke durch den hügeligen Wald auf fast ausschließlich unbefestigten! Wegen unterwegs.
Folgen wir der der üblichen Polemik, so wären die Reiter die ersten im Ziel, die Radfahrer müßten das Rad 26km tragen und die Wettkampfstrecke wäre mit Leichen und
Schwerverletzten gepflastert. Aber außer einigen Blasen, ’ner Menge Spaß und ’ner spitzenmäßigen Gulaschsuppe hinterher gab’s keine erwähnenswerte Zwischenfälle. Allerdings erfordert das, wie im öffentlichen Straßen-(und Wege-)verkehr üblich, eine gewisse Rücksichtnahme auf andere Teilnehmer, nicht nur von den Reitern. Und das, so belegt die Veranstaltung, ist sogar im sportlichen Wettkampf möglich.

Beim Wettkampf wurden im Übrigen von den besten Radfahrern Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 20km/h erreicht, vom besten Pferd ca. 17km/h, vom besten Läufer 15km/h, und das bei einer für alle Seiten anspruchsvollen Strecke in teilweise schwierigem Gelände.

Fazit: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Nicht nörgeln bitte, sondern arrangieren und amüsieren.

Gruß Frank L.

P.S.: Der nächste Ride & Tie findet am 9.9.2001 in Hitzacker/Elbe statt,
Kontakt
PSV Hitzacker
Peter Ludwig
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