Der erste Winter
Von Claudia Jung
Mein Name ist Winnie, ich bin fünf Monate alt und lebe mit meiner Mutter, einer großen Herde und zwei anderen Fohlen in meinem Alter, die auch etwas zu spät auf dieser Welt angekommen sind, auf einem Reiterhof. Es ist ganz nett hier und zu dritt toben wir gerne über die Koppeln.
Was ich aber eigentlich erzählen wollte, stellt Euch vor, als ich heute Morgen die Augen aufgemacht habe, war die ganze Welt weiß. Ich bin durch kaltes, nasses weißes Zeug gestapft und es fiel vom Himmel, so dass mein Fell ganz nass geworden ist. Meine Mutter sagt, dass ist Schnee und eigentlich ein bisschen früh im Jahr. Meine Fohlenfreunde und ich haben es ganz vorsichtig probiert, aber es ist kalt im Mund und verschwindet einfach. Man kann es überhaupt nicht kauen. Zwei von uns hatten dann auch ein bisschen Bauchgrimmen. Wir sind erst ganz vorsichtig Schritt für Schritt um unsere Mütter herumgelaufen. Als wir sicherer wurden, sind wir durch den Schnee getobt, dass es nur so nach allen Seiten durch die Gegend wirbelte. Das war ein Spaß.
Am Nachmittag ist die Menschenfrau meiner Mutter gekommen, zu der ich auch gehöre und die sehr nett ist sowie die anderen Zweibeiner der anderen Pferde. Wir sind dann alle zusammen spazieren gegangen. Im tiefen Schnee durch den Wald. Wir Fohlen mussten ganz ordentlich stapfen und sind fröhlich um unsere Mütter gesprungen. Sobald einer von uns unter einem Tannenast stand, hat ein anderer daran gezogen und die ganze weiße Pracht ist heruntergerieselt. Das war ein Geschüttelt und Geschnaube, wirklich sehr lustig.
Zum Schluss liefen wir dann alle brav neben unseren Müttern her, weil es uns wirklich sehr angestrengt hat und unsere Beine so schwer waren. Alle waren froh, als der Hof und die Herde wieder in Sicht kam. Es gab ein fröhliches Gewieher, von unserer Seite etwas müde.
Auf der Koppel angekommen, haben wir uns ins Stroh in den Unterstand gekuschelt, unsere Mütter als Wache neben uns. Vor dem Einschlafen habe ich noch gedacht, wie gut ich es habe. Ich darf bei unser Zweibeinerin bleiben, die sich viel Mühe gibt, unserer Bedürfnisse zu achten und unsere Sprache zu verstehen.
Meine beiden Freundinnen werden uns bald verlassen, sie werden in die Obhut anderer Menschen kommen. Ich hoffe, sie haben auch Glück im Leben. Meine Mutter sagt, es sind nicht alle Menschen nett, manche sind einfach gedankenlos und sehen uns nur als Gegenstand, der gehorchen muss und nur zu ihrem Spaß da ist. Aber manche Menschen geben sich viel Mühe, lernen dazu und achten uns. Ja, solche Menschen wünsche ich meinen Freundinnen. Mit diesem Gedanken schlief ich ein. Ein bisschen Zeit zum Spielen blieb uns ja noch und vielleicht noch ein paar weitere Tage mit lustigen Schneespaziergängen.