RitteRückblick

Wanderritt Friedersdorf – Uckermark

Von Marion Sieg

Unser Wanderritt von Friedersdorf (Südosten Brandenburg) nach Herrenstein (Uckermark)
Eine Idee ist schnell geboren. Wir haben unsere umgesetzt. Christian schlug mir eines schönen Abends vor: „Marion, weißt Du, was cool wäre, wenn wir zu Carola und Detlef nach Herrenstein reiten, wo ich den Ratz gekauft habe!“ Ich war sofort begeistert und wir freuten uns ein ganzes Jahr auf unseren Ritt. Von Anfang an war klar: Christian reitet Snorre und nimmt Ratz als Packpferd mit, während ich auf Nelli die Karte in der Hand halte und die Strecken und Quartiere organisiere. Und wir müssen fleißig trainieren und Christian insbesondere den Ratz weiter ausbilden.

1. Tag: von Friedersdorf nach Kagel 33,5 km 

Frühes Aufstehen kein Problem – trotzdem kamen wir erst gegen 11 Uhr vom Hof weg. Ehe wir unsere Sachen in den Packkisten verstaut hatten und das Gepäck am Pferd festgegurtet war, verging eben doch einige Zeit. Bereits nach 20 Minuten mussten wir die Autobahn queren, was alle Pferde gut meisterten. Durch die Skabyer Heide, auch liebevoll Lüneburger Heide genannt wegen des schönen rot blühenden Heidekrauts im Spätsommer, kamen wir auf den Sandwegen gut voran. Hinterm Ort Spreenhagen war auf den Spreewiesen jede Menge los: Camper, Paddler…Kind und Kegel. Im Wald nach dem Ort Mönchwinkel ritten wir über die Bundesstraße und die Bahntrasse. Unsere Pferde waren wieder gelassen und mutig. Durch den Kageler Wald suchten wir uns eine huffreundliche Umgehung des Hauptweges, weil dieser geschottert war. In Klein Wall machten wir am Staufließ des munter plätschernden Bächleins eine Rast. Danach ritten wir noch einen schönen langen Waldweg entlang. In Kagel bei Anne und Wolfgang kamen wir aus dem Erzählen nicht mehr heraus. Wenn Pferdeleute zusammentreffen, gibt es nur ein Thema: Pferde. Wolfgang erzählte uns von seinen Distanzreiterzeiten, neuen und alten und der erfolgreichen Pferdezucht am eigenen Hof.


2. Tag: von Kagel nach Gielsdorf 37,5 km

„Im roten Luch fressen Euch die Mücken und Bremsen auf!“ wurden wir vorgewarnt. Entweder waren wir gut getarnt oder wegen des kühlen wunderbaren Reitwetters wollten die Biester gar nicht erst hervorkommen. Jedenfalls blieben wir weitestgehend verschont in dem riesigen kilometerlangen Wiesental. An der Apfelmosterei wollten wir eine Pause machen. Da sich aber nichts Pferdesicheres zum Anbinden finden ließ, zogen wir weiter über die Feldwege nach Hasenholz. Einen Hasen haben wir dort nicht gesehen. Dafür kamen jede Menge kleiner Shetlandponys auf uns zu gerannt, was unseren Ratz doch gehörig in Angst und Schrecken versetzte- so klein und sooo gefääährlich! Kurz vor Ruhlsdorf kam ein Damwildgehege in Sicht. Nun war Nelli die Aufgeregte. Nach einem Abstecher den falschen Feldweg entlang, der uns in einen Sumpf, zu einem verlandeten See führte, ignorierte ich das Wanderwegschild, welches uns nach Ruhlsdorf führte, nicht mehr. (Wäre ja auch zu einfach gewesen für die Frau Rittführerin gleich dem Schild zu folgen…)

In Klosterdorf, kurz vorm Ziel, fanden wir endlich eine schöne Dorfaue mit Teich und Hofladen zum Pausieren. Mein Magen hing mir inzwischen auch in den Kniekehlen. Der Hofladen warf in Selbstbedienung schwarze Johannisbeeren, Kaffee, Kekse und Biobrause ab. Nach diesem leckeren verspäteten Mittagessen liefen wir auf der Straße nach Wilkendorf, als das nächste Monster in Form einer Schimmelreiterin nahte. Die Frau galoppierte mit ihrem Pferd weit entfernt neben uns auf einer Wiese dahin, was Nelli sehr befremdlich fand und ihrerseits meinte, sie müsse nun auch mal ein Stück rennen. Mit anderen Worten ich hatte arge Probleme die Nelli ruhig zu führen und in meiner Anstrengung, dass Christian es möglichst nicht merken sollte, hüpfte sie dem nächsten Fjordi fast in den Hacken. Und das auf einer relativ viel befahrenen Straße- prima Plan!


Bis zum Überqueren der Bundesstraße hatte sich jedoch mein Pferd wieder ein bekommen und wir konnten danach wieder aufsitzen und weiter reiten. Parallel zur Straße fanden wir im Wald einen Hufschlag, der uns zum Ihlandsee führte. Der Anblick der alten Bäume war traumhaft schön. Via GPS fand Christian Wege, die nicht auf meiner Karte waren, standen dann aber ratlos an einer Kuhkoppel und wussten nicht weiter. Ich hätte schwören können, dass es einen geheimen Weg gibt, denn vor 9 Jahren war ich hinten herum ins Dorf gelangt. Nun aber ließ mich mein Elefantengedächtnis doch im Stich, war wohl einfach zu lange her. Christian zückte sein Handy und rief Heike, unsere Gastgeberin an, als plötzlich Ratz mit allen Vieren in die Luft hüpfte samt den 40 kg Gepäck in den Transportkisten.
Was war passiert? Mir blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Ich drehte mich um, weil ich die Ursache für Ratzens Panik ausmachen wollte. Es waren die Kühe, kleine gefääährliche Tiere, obendrein mit Hörnern, und lustig springend kamen sie auf uns zu. Ratz schnaubte noch einmal gewaltig, entschied dann aber, dass es sich nicht lohnte weiterhin Angst zu haben. Christian hatte derweil längst das Telefonat beendet, denn auch Snorre wollte nicht so ganz brav stille stehen. Ihm waren die Kühe auch nicht geheuer. Auch Nelli prustete und schnaubte (wenn die Buben das machen, muss ich auch mitmachen).
Den weiteren Schleichweg hatten wir nicht gefunden, weil er wie ein Koppeleingang aussah. Dafür holte uns Heike an der Straße ab und führte uns zum Hof. Die ganze Gruppe, einige Freunde und Nachbarn, hatten schon mit dem Chilli con Carne am Feuer auf uns gewartet. Nach diesem leckeren Essen und einem tollen geselligen Abend schliefen wir fast unter freiem Himmel, Christian unterm Schleppdach, ich im Pferdehänger. So richtig gut und tief schliefen wir freilich nicht. Aber wir hatten es ja so rustikal gewollt.


3. Tag: von Gielsdorf nach Rüdnitz 30 km

Nach einem ausgiebigen Frühstück begleitete uns Heike auf ihrem Schwarzwälder Fuchs noch ein Stückchen über den Fuchsberg bis zum Waldrand (so viel Fuchs und doch kein Fuchs). Der Weg zum Gamengrund, einem Relikt aus der Eiszeit- ein wunderbarer Weg führt hindurch, war mit einem Wildzaun versperrt. Merkwürdig dachte ich mir und disponierte um. Viele Wege waren geschottert und nicht in der Karte verzeichnet. Dadurch war ich mir unsicher mit dem Abbiegen. Christian half wieder mit dem GPS aus, den richtigen Weg zu finden. Wir querten in einer „Schlucht“ den Gamengrund und auf den Feldwegen nahe Hirschfelde (ohne einen Hirsch zu sehen) konnten wir auch mal traben, bevor wir die Bundesstraße überquerten und weiter nach Schönfeld ritten. Die Straße durch den Ort zog sich sehr hin, ein langes Dorf. Wasser für die Pferde bekamen wir an einem der 5! (ich habe sie gezählt)Reiterhöfe. Ein geeigneter Pausenplatz war wieder nicht in Sicht und mir knurrte doch so der Magen. Dafür fanden wir an den Bäumen auf dem nächsten steinigen Feldweg noch etliche überreife Süßkirschen, die wir vom Pferd aus pflückten, so hoch unsere Arme herauflangen konnten. Was für ein Genuss! In der Wilmersdorfer Heide wurde der Weg besser und wir konnten mal wieder etwas traben.

Als wir unter der Hochspannungsleitung hindurch geritten waren, entdeckten wir unversehens auf einer Lichtung eine Blockhütte. Unsere Gesichter verzogen sich zu einem Grinsen. „Hier bleib‘ ich!“ rief Christian aus. „Unser Pausenplatz!“ jubelte ich. Nach einer Graspause banden wir die Pferde an, hievten wir wie immer gemeinsam die Packboxen von Ratz herunter und holten unsere Vorräte hervor. Bald dampfte der Kocher überm Feuerchen, von Nelli argwöhnisch beäugt. Christians heutige Menüzusammenstellung: Kartoffelpüree mit Trockenfisch, als Nachtisch Cappucino und Schokoriegel. Die restliche Strecke war unspektakulär: viel Straße. Bruno, der Vater, empfing uns herzlich. 8 Jahre waren seit meinem letzten Besuch vergangen. Die Pferde kamen auf die grüne Hauskoppel und nach einem kühlen Bier räumten wir unsere Siebensachen ins Haus. Nanett kam spät. Sie fährt 140 km und mindestens 3 Stunden am Tag zur Arbeitsstelle und zurück. Neben der ehrenamtlichen Arbeit im Reitverein bereitete sie ein Turnier mit an die 1000 Nennungen vor. Wahnsinn- ein Energiebündel von Frau! Nanett zauberte für uns noch einen leckeren Salat mit gebratenen Hähnchenstücken. Im Hof noch auf ein Bier unterm Pavilion- fielen uns schon fast die Augen zu.


4. Tag: von Rüdnitz nach Werbelin 36 km

Während wir noch am Frühstückstisch saßen, sauste Nanett zur Arbeit. Christian bepackte die Pferde. Ich sammelte die Wiese ab. Gleich hinterm Ortsausgang ging es auf schönen Sandwegen durch herrlichen Buchenwald zur Hellmühle. Weiß der Fuchs, was mich da geritten hat. Ich bog zu früh ab, ohne darauf zu achten, dass der Bach neben dem Weg hätte sein müssen. „Na, egal!“ dachte ich „Wird schon gehen!“ Wir kamen an einigen Polizisten vorbei, die Übungen mit ihren Hunden machten. Vorsichtig umritten wir die Wagen mit den „Hundekörbchen“. Noch einmal links, noch einmal rechts und schon wusste ich nicht mehr, wo wir uns befanden. Der Buchenwald war wunderschön. Nur führte uns kein Weg Richtung Westen. Wir landeten auf einer Halbinsel ringsherum von Sümpfen umgeben. Die Pferde wussten längst, dass dort kein Weg weiter führt und verweigerten das Laufen. Sie haben für so etwas den 7. Sinn. Aufs GPS gucken, zwei Pferde, die sich gegen Mücken und Bremsen wehren und mir das auch noch zeigen können, war eine schwierige Aufgabe für Christian, zumal meine Nelli, noch hibbeliger, als die beiden Fjordis auf gar keinen Fall stehen wollte. Ach Du Schreck, als ich auf das GPS schaute, schnaubte ich vor Empörung, wie konnte ich nur so dumm sein- Tomaten auf den Augen? Christian meinte in 120 Metern Luftlinie wäre ein Weg zu finden. Der Baumbestand war jedoch so dicht und voller Unterholz, dass ich den Vorschlag uns dort heimlicher Weise durch zu wuchten, ablehnte, denn im Geiste sah ich Ratz bereits mit den Packboxen zwischen zwei Bäumen stecken.

Also ritten wir zurück und gelangten wiederum zum Hellsee. Dort kamen wir zum 2. Mal an einem Waldarbeiter vorbei- peinlich. Zum Glück war der Mann so in seine Arbeit mit der Motorsense vertieft, dass wir von ihm diesmal unbemerkt, vorbei ritten. Der richtige Weg führte uns an einem Bach entlang, später bergan. Nach Überquerung der Landstraße wartete schon das nächste Abenteuer auf uns. Der ohnehin schon äußerst schmale Reitweg, nur ein Hufschlag breit, war dermaßen zugewachsen, dass wir eine Machete gebraucht hätten. Rechts von uns erinnerte ein alter Drahtzaun an den kalten Krieg und nötigte uns zum Gruseln, denn der einzige Draht der noch übrig war, war ausgerechnet der oberste- in unserer Halshöhe. Linkerhand der Wald war so dicht bewachsen, dass ein Ausweichen kaum möglich war. Nelli weigerte sich voranzugehen, nach dem Motto. „Ich bin eine Dame, lass die Bodyguards mal vor!“ Doch auch Snorre war nicht zu begeistern sich in meterhoch wuchernde Brennnesseln und Gestrüpp zu wagen. Christian musste ihn nach allen Regeln der Reitkunst treiben und mit den Schenkeln dirigieren, bis er überzeugt war, den Anfang zu machen. Ich musste an Lasse denken, der unerschrocken hindurch marschiert wäre. Nach wenigen Metern versperrte uns ein umgefallener Baumstamm den Weg, der jedoch an einer Stelle gerade so zu übersteigen war. Puh, geschafft! Was waren wir froh, als wir auf einen breiten Sandweg stießen. Die nächste Wegstrecke war sehr schön. Sie führte uns entlang einer Höhenlinie zu einem See. Ich holte Wasser und weiter ging es einen breiten Sandweg entlang in Richtung Autobahn. Diesmal war ich konzentriert. Nicht schon wieder verreiten. Die Halbinsel am Vormittag hatte uns fast 1 Stunde an Zeit gekostet. Wir fanden den Weg zum Tunnel, der auf meiner Karte nicht genau eingezeichnet war, da der Tunnel zu neu oder die Karte zu alt ist. Bald ging der Sandweg in eine Schotterpiste über. Wir saßen ab und gingen zu Fuß. Endlos schnurgeradeaus erstreckte sich der Weg vor uns.

Die brandenburgische Weite gab den Blick auf eine Sitzgruppe mit Feuerstelle am Forsthaus Eiserbude frei. Wir setzen den Kocher in Gange und rasteten. Nelli beroch das metallene Ding ausgiebig und hatte sich von nun an damit angefreundet. Nach dieser schönen Pause kamen wir an eine Holzbrücke. Ich saß ab und holte wieder Wasser. Bis Marienwerder hatten wir überwiegend Sandwege und kamen noch an zwei kleineren Seen vorbei. In der Hoffnung das Dorf umgehen zu können, schlug ich einen Wiesenweg am Kanal entlang ein. Uralte Bäume am anderen Ufer nahmen meinen Blick gefangen.


Dann passierte etwas, was mir einen gehörigen Schrecken einjagte. Christian war mit beiden Pferden vor mir, als der moorige Boden plötzlich unter mir nachgab. Nelli sank mit dem linken Vorderbein in Sekundenschnelle in die Tiefe. Mir entfuhr ein Schrei. Ich hob die Arme an, um Nellis Kopf in die Höhe zu bekommen. Mein Pferd fing sich ab und lief weiter. „Auwei- das hätte schief gehen können!“ dachte ich. Christian fragte, was los sei. Ich schimpfte auf die Bauarbeiter, welche bei Kanalarbeiten an dieser Stelle nicht vernünftig zugeschüttet hatten. Außerdem endete der Weg bald darauf auf einer Wiese, und wir mussten zurück, und das löchrige Stück nochmals passieren- diesmal ohne Zwischenfall. „Keine Experimente mehr!“ schalt ich mich innerlich und so begannen wir den Fußmarsch durch das langgestreckte Straßendorf.

Am Ende des Ortes erwartete uns die große Brücke über den Niederfinow- Kanal. So gelangten wir an die Bundesstraße. Um niemanden zu gefährden, wichen wir auf den Radweg aus. Christian knüpperte kurzerhand Snorre mit den Zügeln an das Geschirr von Ratz an und lief vorneweg. Das Glück war uns hold. Kein LKW kam, um meine Nelli zu erschrecken. Wir gelangten sicher in den Wald, wo wir wieder aufsitzen konnten. Die Freude über den Sandweg währte nur kurz, denn bald darauf hatten wir wieder Asphalt unter den Hufen. Trappel, trappel, trappel- in einer Gartenkolonie wurden wir bewundernden Blickes ausgefragt: woher, wohin des Wegs- ach, so weit…Die Freundlichkeit dieser zwei älteren Herrschaften entschädigte etwas für das viele Schrittreiten und Führen. Inzwischen war es bereits 18 Uhr durch. Wir wollten ankommen.


Die Feldwege hart wie Beton, die Waldwege steinig. Es zog sich hin und blieb beim Schrittreiten. Als wir in der Siedlung vorm Dorf Werbelin absaßen, brannten meine Beine wie Feuer. Wie konnte ich nur so bescheuert sein und eine neue Reithose auf dieser langen Tour anziehen? Ich hätte es besser wissen müssen. Nun waren meine Beine vom Knöchel an ca. 20 cm aufwärts ringsherum knallrot und angeschwollen, mit dicken Pusteln übersät- passend zum Reiterhof in mittelalterlichem Ambiente: Burgwall, Brücke, Kürbis- Schleuder. Die hauseigene Gaststätte hatte allerdings sehr zeitgemäße Preise wie wir am nächsten Morgen feststellten.


5. Tag: von Werbelin nach Parlow 31 km

Dafür brach ein sonniger Tag mit strahlend blauem Himmel an. Christian hatte einen Feldweg im GPS, den ich nicht auf der Karte hatte. Wir freuten uns. Dadurch hatten wir an die 3 km gespart. Im Wald mussten wir anhalten, da ich, hinten reitend, gesehen hatte, dass das Geschirr von Ratz immer noch nicht so optimal saß und sich die eine Schnalle beim Traben wieder auf die kleine Scheuerstelle an Ratzens Popo gesetzt hatte. Christian probierte eine kleine Ewigkeit herum, Schnalle auf, Schnalle zu…Meine Geduld wurde belohnt. Was lange währt, wird gut- nun saßen die Gurte wie angegossen am Ratz. Prima!

Durch den schönen Buchenwald gelangten wir über einen Hohlweg ans Ufer des Werbelinsees. Neben uns zur linken Seite das Wasser und zur anderen die steilen bewaldeten Hügel ritten wir in aller Stille dahin. Da kam das Gefühl von unendlicher Weite und Zeitlosigkeit auf. Doch schon bald erreichten wir die Bundesstraße und den Hörspielbahnhof Joachimsthal (hier kommt man als Detektiv- Spieler voll auf seine Kosten).


Der große Grimnitzsee war hinter seinem dichten Schilfgürtel kaum zu sehen. Auf einem Traktorweg über die riesigen Wiesen reitend, umrundeten wir ein Stück den See, auf der Suche nach einem geeigneten Rastplatz. Hatte die gestrige Etappe weit über 30 km gegeben, so waren es heute bis nach Parlow immerhin doch mehr als meine nach Pi- mal- Daumen- Augenmaß geschätzten 25 bis 28 km. Noch hoffte ich jedenfalls unter der 30iger- Schallgrenze zu bleiben.


Wir hatten ein prächtiges Stück abgekürzt, als uns ein Mann kniend auf seinem Dach mit einem Hammer und Schindeln in den Händen ansprach, ob wir auf dem Weg nach Parlow seien. Wir waren baff- klein ist die Welt. Es stellte sich heraus, dass just jenes Mannes Frau ihr Pferd in Parlow in Pension hat. Man habe sich extra Urlaub genommen und nun hätten wir uns gar nicht mehr gemeldet, ob wir tatsächlich kommen würden. Oh je, ich entschuldigte mich. Das Anrufen hatte ich gestern, abgelenkt durch meine schmerzenden Beine, völlig vergessen. Der Mann auf dem Dach versprach, er würde uns anmelden und empfahl uns eine nahegelegene Wildwiese zum Pausieren. Die war wie geschaffen für hungrige Ponys und müde Reiter zum Ausruhen.

Erholt ritten wir weiter. An einem Luch vorbei reitend, gelangten wir auf die altehrwürdige Lindenallee mit urwüchsigen riesigen Bäumen. Vor so viel Naturschönheit hatte auch Ratzemann Respekt und blieb wie üblich zum Äppeln stehen. Ehe ich „Stop!“ rufen konnte, war es schon passiert. Der Strick flutschte durch Christians Hand und riss eine Schürfwunde. Christian fluchte: „Das muss ich ihm unbedingt noch abgewöhnen!“ Ich lachte und antwortete: „Ja, so hat jeder sein Selbstverstümmlungsprogramm- Du aufgerissene Hände, ich wund gerittene Beine!“ Ich für meinen Teil hatte meine dünne Sommerhose statt der Reithose und Minichaps angezogen, die erstaunlicherweise trotz Innennähte keine Probleme verursachte, so, dass meinen Scheuerstellen ein wenig Linderung verschafft werden konnte. Aber wie hätte man mitten im Sommer unauffällig nach Handschuhen für Christian fragen können.


Das letzte Stück der Strecke führte uns durch die pralle Sonne ins Dorf zum Hof, wo wir mit Kaffee und Kuchen erwartet wurden. Die Ponys bekamen eine schöne Wiese am Teich und tranken erst mal einige Eimer frisches Wasser leer. Die Quarter- Horse- Stute von Burckardt und der Sportpferdewallach von der Einstellerin tobten ihren Weidegang im Galopp hinauf und hinab, völlig entgeistert über die Ponygäste. Die Hausherrin Erika hatte lauter leckere Sachen insbesondere Salate vorbereitet. Dann kamen die Grillgäste und es wurde ein schöner geselliger Abend.

Christian entschied sich draußen vor dem Koppeltor zu schlafen, worüber Erika sich kaum beruhigen konnte: „Das ist mir jetzt peinlich!“ „Nein, muss es nicht!“ antwortete Christian. „Draußen?“ fragte Erika nochmals ungläubig und schüttelte den Kopf. Ich erklärte ihr, dass so eine Nacht unterm Sternenhimmel bei Vollmond ins Abenteuerreiseprogramm gehören würde.


6. Tag: von Parlow nach Herrenstein 32 km

Nach einem feudalen Frühstück brachen wir zum letzten Reit- Tag unserer Reise auf. Hinterm Dorf kamen wir an der Badestelle vorbei. Im Wald wollten wir zwischen dem großen und dem kleinen Präßnicksee hindurch reiten, wie ich es vor Jahren schon einmal erlebt hatte. Leider ist der Weg inzwischen versumpft und nur Fußgänger können die Stelle über einen notdürftig angelegten Bohlenweg passieren. Also mussten wir doch die Kopfsteinpflasterstraße über Forsthaus Poratz nehmen. So schlecht auch das Geläuf war, desto schöner war dafür die Landschaft: linker Hand schimmerte der See durch die Äste der Bäume, rechter Hand lag eine Sumpflandschaft, wie sie uriger nicht sein konnte.

Der Weg, der uns von Burkardt empfohlen wurde, er war seit 8 Jahren nicht mehr geritten, war inzwischen geschottert. Deshalb bogen wir in einen unscheinbaren Waldweg ab, der uns durch sagenhaft schönen Buchenwald bis Hohenwalde führte. Ich fragte Christian: „Wollen wir Mutti besuchen?“ (Sie soll dort ein kleines Häuschen haben, was unschwer am Wachschutz zu erkennen sein würde). Christian sagte kurz und knapp: „Nö!“ Und so ritten wir weiter. Schade, wäre doch eine tolle Schlagzeile gewesen: „Wanderrittführer der VFD zu Gast bei der Kanzlerin“. Die Feldwege führten uns am kleinen und großen Krinertsee vorbei zum Düstersee nach Temmen, wo wir wegen der Hitze (inzwischen 26°C, für uns zwei gefühlte 35°C) eine längere Mittagspause mit Schwimmen und Schlemmern einlegten.


Am klaren See vorbei führten wir die Pferde an der Landstraße entlang, nachdem unser Versuch uns auf einem schmalen Trampelpfad an der Straße vorbei zu schummeln, kläglich in dichtem Buschwerk endend gescheitert war. Das Glück war uns hold. Zum einen geriet Ratz nicht in Panik, als die vielen Äste wegen seiner Überbreite „nach den Kisten griffen“, sondern blieb absolut cool und gelassen, bis er nach mehreren Versuchen aus dem Dickicht befreit werden konnte. Zum anderen frequentierte kein größeres Fahrzeug die Straße und wir konnten bald darauf wieder aufsitzen und sogar traben.


Die Freude währte nicht lange, denn wir stießen auf einen mit Geröllkies aufgeschütteten Weg (Ursprünglich auch ein Sandweg lt. Aufzeichnungen meiner alten Karten). Auch die Nebenwege entpuppten sich als geschottert, waren jedoch schon etwas zugewachsen, so, dass wir auf der Grasnarbe weicher dahin reiten konnten. Es gibt auch angenehme Überraschungen. So war beispielweise ein Feldweg, der uns in nordwestlicher Richtung zum Stiernsee brachte, wieder frei geräumt worden (den hatte ich in meiner Karte als zugewachsen vermerkt). Unangenehm war nur, dass wir plötzlich später auf einer Kuhkoppel standen. Da sie abgeweidet und nicht belegt war, kein Problem, Draht auf, Draht zu, fertig. Auf halbem Wege nach Gerswalde, bestehend aus Sand und trabverdächtig, verkündete mir Christian, dass wir gar nicht dorthin müssen, sondern zum Ortsteil Herrenstein.

Also ritten wir ca. 1 km wieder zurück zum Stiernsee. Flugs hatte Christian vom GPS berechnen lassen, dass wir dann noch mal so an die 1,5 Stunden bis zum Ziel brauchen müssten. Das schaffen wir dann auch noch, Hitze hin, Hitze her. Nach einem Abstecher ans Ufer des Sees schlängelten wir uns zurück zum Hauptweg. Ich war froh, dass wir im kühlen Wald waren, bevor uns auf dem letzten Stückchen Weg durch die hügligen Felder die Sonne unbarmherzig heiß auf den Köpfen brannte. Hatten wir die ersten Tage mit um die 23°C und bedecktem Himmel das ideale Reitwetter gehabt, zeigte sich heute, am Abschlusstag, der Juli mit 28°C von seiner sonnigen Sommerseite.
Verschwitzt und glücklich legten wir die letzten Meter am Schloss Herrenstein vorbei zurück, bis wir die Landstraße überquerend den Hof erreicht hatten. Stolz verkündete Christian: „198,6 Kilometer, Marion! Ab 200 Kilometer bekommt man das goldene Wanderreitabzeichen!“ Ich antwortete Christian: „Dann müssen wir noch einmal um alle Koppeln herumreiten! Dann hätten wir locker 200 Kilometer auf dem Tacho!“ Ich finde, wir haben uns das Abzeichen auch ohne die fehlenden 1,4 km redlich verdient.


Die Pferde jedenfalls bekamen eine Rolle feinstes Heu und zwei große Bütten voll Wasser auf ihre Koppel gestellt. Zwei Minuten später hatte Snorre bereits das mühsam aufgestellte Sonnensegel mit seinem Hintern beim Schubbern umgerissen.

Stolz erzählten wir auf der Veranda am Teich Carola und Detlef, Karen und Herbert und Gorgio von unseren Pferden und den Abenteuern unterwegs. Nach 3 Tagen Ausruhen fiel uns der Abschied sehr, sehr schwer. Eine Woche später beschlossen wir: „Wir werden nächstes Jahr zu Wiederholungstätern, auf neuer Route und anderen Wegen!“

Allen Reiterhöfen sei für Unterkunft und Speis und Trank gedankt, für Ross und Reiter.